Mittwoch, 20. Februar 2013

Meine Meinung, deine Meinung und die feine Grenze zwischen konstruktiver Kritik und grenzenloser Respektlosigkeit.

"Ich hab Verständnis dafür, dass man beleibte Damen modisch kleiden möchte, aber Formen, Farben und Schnitte dieser Kollektion gehen bei der dt. Durchschnitts-Dicken nicht, es sei denn man möchte sich bei der Gesellschaft noch mehr zum Gespött machen... da braucht man def. Selbstbewusstsein und ich würde mal behaupten, dass das bei den meisten Mollis einfach nicht gegeben ist..."

Ich zitiere damit Teile eines Kommentars, den ich auf der Facebook Seite von Sheego gefunden habe, er ist nur einer von vielen Kommentaren zu zahlreichen Fotos vom Laufsteg der British Plus Size Week*, die letzte Woche, zeitgleich zur London Fashion Week über die Bühne gegangen ist. 
Wie gesagt, einer von vielen Kommentaren, die mich wütend, traurig und beschämt machen. Viele dieser Kommentare schlagen in die selber Kerbe: die gezeigten Stücke seien absolut unmöglich, nicht tragbar, viel zu eng, zu bunt, zu auffällig, nicht für dicke Frauen gemacht oder sehen einfach verboten aus. Es wird gemeckert darüber, dass die Models nicht Plus Size genug sind, beim nächsten Foto wird kritisiert, dass der Bauch/die Arme/das gesamte Model nicht genug kaschiert werden. Und es ist dabei eigentlich egal ob es sich um ein wirklich tolles, ein ausgefallenes oder sogar ein sehr vorteilhaft geschnittenes Kleid handelt. 
Wahrscheinlich werden viele jetzt sagen, dass ich mal wieder nicht offen dafür bin, dass jeder eben seine Meinung und seinen eigenen Geschmack hat. In gewisser Weise stimmt das, ich bin mal wieder sehr kritisch, aber wenn ich die Kommentare dort lese, dann ist es kein Wunder, dass kein einziges deutsches Übergrößen Unternehmen sich traut mal einen Schritt in die Richtung der aktuellen Trends zu machen, denn das Feedback gegenüber Kleidung, die nicht in die Norm passt, fällt vernichtend aus. 

Schlimm finde ich daran allerdings nicht, dass Leute einen anderen Modegeschmack haben als ich, natürlich gefällt nicht jedem das gleiche Kleid und natürlich hat jeder das Recht einen Stil, einen Schnitt, ein Kleid oder eine Farbe einfach nicht zu mögen, ohne dafür einen Grund zu haben oder sich rechtfertigen zu müssen, sondern, dass diese Meinung in so vielen Fällen verallgemeinert wird. Wenn ein Designer wie Anna Scholz ein Model in einem hautengen Spitzenkleid über den Laufsteg schickt, bei dem keine Rolle verdeckt wird, sondern der Bauch ganz klar zu erkennen ist, dann ist absolut nichts dagegen zu sagen, dass man für sich selber entscheidet, in so einem Kleid das Haus nicht verlassen zu wollen, es ist aber eine ganz andere Sache den Fakt zu verurteilen, dass man den Bauch der Frau sieht. Und genau das passiert in 90% der Kommentare, die Schreiberlinge können sich selber nicht vorstellen Kleidungsstück yx zu tragen und schon heißt es, dass so niemand rumlaufen sollte. Denn in deren Welt ist es peinlich wenn man als dicke Frau ein durchsichtiges Kleid trägt, es ist nicht okay, wenn Kleider auftragen und sowieso als dicke Frau sieht man in etwas engen einfach wie eine Presswurst aus. Die Frage die sich mir sofort stellt ist: Na und? Und genau da ist der Punkt, an dem die meisten nicht hinterher kommen, die meisten verstehen einfach nicht, dass es Menschen gibt, denen es egal ist, ob man ihnen ansieht dass sie 120kg wiegen. Sie verstehen nicht, dass es Frauen gibt, die keinen Grund sehen sich dafür zu schämen, dass sie Größe 54 tragen und sie können erst Recht nicht verstehen, dass irgendjemand es tatsächlich schön finden könnte, wenn man einen dicken Bauch durch einen sexy Spitzenstoff schimmern sieht. 

Ebenfalls sehr beunruhigend finde ich die Annahme, dass, und hier beziehe ich mich direkt auf den oben zitierten Kommentar, dass man als dicke Frau kein Selbstbewusst sein hat und man eben damit rechnen muss sich zum Gespött der Leute zu machen, wenn man nicht genau das trägt, was die Allgemeinheit für okay befindet. Wann hören wir endlich auf und selber wie die letzten Menschen der Erde zu behandeln, nur weil wir übergewichtig sind, liebe Frauen? An dieser Stelle möchte ich gerne Patrizia zitieren, die sich eben falls dazu ausgelassen hat und hoffentlich damit einverstanden ist, dass ich einen Teil ihres Kommentar kopiere: "...was jeder anzieht, bleibt einem selbst überlassen..aber ich finde es schade, wenn Stolz und Selbstvertrauen bei einigen so negativ aufgenommen wird...jeder von uns Dicken fordert immer Akzeptanz und Toleranz...wie wäre es, wenn wir erstmal selbst bei uns persönlich anfangen..?!"

Wie soll jemand lernen sich selbst zu akzeptieren und zu lieben, egal bei welchem Gewicht, welcher Hautfarbe, Problemzonen, Hautproblemen oder anderen Dingen, die uns nicht gut genug an uns selbst sind, wenn wir gleichzeitig weiter machen andere Frauen (und auch Männer) nach genau diesen Dingen zu beurteilen? Ich kann nicht fordern, dass ich Toleranz gegenüber Dicken will, aber gleichzeitig sagen, dass niemand der über Größe 56 ist ein hautenges Kleid tragen sollte. Genauso wenig habe ich das Recht dazu über jemanden zu urteilen, nur weil ich rein äußerlich der Meinung bin ich habe das selbe "Problem". Tatsächlich handelt es sich hier um die von mir verhassteste Form der Kritik, die "Ich bin selber ____________ (bitte tragen Sie hier Ihr Problem ein) und ich würde so was auch nicht machen / und deswegen darf ich sagen dass.." Nein. N e i n. NEIN! Nur weil man selber dick ist hat man nicht die Qualifikation oder das Recht zu sagen, dass jemand anderes, der ebenfalls dick ist, eine Geschmacksverirrung hat oder realitätsfremd ist, nur weil er sich selber schön findet.

Wir müssen aufhören immer von uns selbst auf andere zu schließen. Es ist absolut okay und entspricht 100% meiner Meinung, dass man immer sagen sollte, was man selber denkt, aber es gibt eben den kleinen feinen Unterschied zwischen: "Ich finde das Kleid nicht schön" und "Ich finde mit einem solchen dicken Bauch sollte man niemals so ein enges Kleid anziehen". Für mich ist das keine Frage der eigenen Meinung sondern von Respekt vor der Meinung anderer, denn wenn ich lauthals behaupte, dass es nicht schön und geschmackswidrig ist, wenn eine Frau einen dicken Bauch hat, dann tun ich damit nicht nur kund, dass ich persönlich das nicht schön finde, sondern unterstelle allen anderen, die es schön finden, dass sie irgendwie nicht richtig beieinander sind. 

Wie schon so schön zitiert, am besten fast man sich als erstes an die eigene Nase, denn auch, wenn mir viele vielleicht zustimmen und eben falls der Meinung sind, dass sie Khaki-Hosen und Zipfel-Tunikas unvorteilhaft, schrecklich und verboten finden, sollte es nicht an mir sein über diejenigen "Dickes" (oh wie ich solche Wörter liebe...) zu lästern oder zu urteilen, die eben einen völlig anderen Modegeschmack haben als ich. (Wie es scheint versetzen die Fotos der Plus Size Fashion Week nämlich eine menge Frauen in Angst und Schrecken, dass Sheego sich zu sehr an den dort zu sehenden Trends orientieren könnte und ab der nächsten Kollektion alle in Galaxy BHs, durchsichtigen Kleidern und bunten Leggings rumlaufen müssen...) Wenn wir also wirklich wollen, dass die Gesellschaft toleranter und offener wird, ist der erste Schritt selber mit den Verurteilungen aufzuhören, denn dass du nicht nur anderen, sondern am meisten einem selber gut!


*Wer einen umfangreichen, kritischer aber tollen Bericht, leider nur auf englisch, über die Plus Size Fashion Week lesen möchte, sollte unbedingt bei Em vorbei schauen, die hat dem Thema zwei Blogeinträge mit vielen Fotos gewidmet.